Zeitzeugentreffen in Ravensbrück

 

Eindrücke von einer Teilnehmerin unserer Fahrt 

 

 

Unsere Gruppe, 8 Jugendliche und drei Erwachsene, waren am 18.04.2015 im ehemaligen Konzentrationslager in Ravensbrück.

Wir wollten mehr aus dieser Zeit des Faschismus erfahren, dieses Mal nicht nur aus Geschichtsbüchern oder dem Internet, sondern von den Überlebenden selbst.

In dem ersten öffentlichen Gespräch erzählten drei Zeitzeugen über den Lageralltag. Sie berichteten, dass sie sich mit fünf Personen ein Bett teilen mussten, jeden Tag die selbe Kleidung trugen, kaum Nahrung hatten, sehr abgemagert waren und Krankheiten herrschten wie Durchfall, Läuse und mehr.

 

Dann haben wir uns in Gruppen aufgeteilt.

Benni, Manuel, Lisa, Thomas, Andreas und ich haben uns das Gelände angesehen.

Dass ca. 800 Menschen in einer so engen Baracke miteinander leben und schlafen mussten, ist für uns heute gar nicht vorstellbar.

Mir tut es in der Seele weh, zu erfahren, wie Juden, Andersgläubige, politisch Andersdenkende, Ausländer und Behinderte hier festgehalten, gequält und ermordet wurden. Ich stelle mir vor, wie sie hier auf den Wegen mit den vielen kleinen Steinen entlang gingen, barfuß oder mit kaputten Schuhen. Unter den unmenschlichsten Bedingungen mussten sie arbeiten, wurden angetrieben, erniedrigt und geschlagen. So hat z.B. eine kleine Gruppe von Frauen  die kleinen Pflastersteine für die Straße, die in das Lager führt, per Hand verlegt und dazu eine 400 Kilo schwere Steinwalze hinter sich herziehen müssen.

 

Nach dem ersten öffentlichen Zeitzeugengespräch hatten Benni und ich eine einmalige Erfahrung machen können. Wir hatten ein persönliches Treffen mit zwei Zeitzeuginnen. Sie heißen Ilse und Charlotte.

 

Ilse erzählte uns, dass sie auf dem Land gelebt hat. Die Nazis waren der Meinung, dort solle man auch bleiben. Aber Ilse wollte in die Stadt, um sich ihren Traum zu erfüllen, Säuglingsschwester zu werden. So verließ sie oftmals unerlaubt ihre Arbeitsstelle bei dem Bauern. Ihr wurde dann unterstellt, sie sei faul und wolle nicht arbeiten. Sie kam ins Konzentrationslager.

Was dort geschah, übertrifft all jene Vorstellungen, die man sich von seinen eigenen schlimmsten Tagen im Leben machen kann.

Ilse erzählte uns, dass sie neun Monate inhaftiert war und sie drei Bestrafungen über sich ergehen lassen musste. Zuerst, weil sie sich aus einer Mülltonne eine Kartoffelschale holte, an der noch ein bisschen Kartoffelreste waren. Eine SS- Aufseherin sah sie und machte Meldung. 8 Tage lang bekam Ilse kein Abendbrot.

Das ist unvorstellbar. Die Menschen mussten täglich 10, 12 und 14 Stunden körperlich schwer arbeiten und bekamen nur eine Scheibe Brot am Morgen, eine Wassersuppe am Mittag und eine Scheibe Brot am Abend. Noch fast in der Nacht wurden sie täglich geweckt und mussten stundenlang Appell stehen, bevor sie mit der Arbeit begannen. Für Ilse war die wegbleibende Scheibe Brot am Abend eine entsetzliche Tortour.  

 

Die zweite Bestrafung erhielt sie, weil sie die geforderten Socken nicht stricken konnte. Daraufhin musste sie im Winter, mit Schnee ungefähr bis zu den Knien hoch, für mehrere Stunden draußen stehen. Die Kleidung der Häftlinge bestand nur aus Stofffetzen. Sie haben bittere Kälte ertragen müssen. Eine SS-Aufseherin kippte Ilse einen Eimer Wasser über den Kopf. Das Wasser gefror an Ilses Körper.  

 

Ich musste mit den Tränen kämpfen, als ich das hörte, und hatte am ganzen Körper Gänsehaut.

Woher haben die Menschen nur ihren Lebenswillen und ihre Kraft genommen?  

Dann fuhr Ilse fort. Sie erzählte von ihrer 3. Bestrafung. Sie sollte an einem Fließband arbeiten, wurde aber nicht eingewiesen und kannte ihre Aufgabe nicht.  

Daraufhin wurde sie in einen Flur gezogen und 10 Minuten lang bestialisch verprügelt. Ihre Gedanken waren: „Schlage mich doch tot, dann ist das hier endlich vorbei“.

 

Die Geschichte über den Lebensalltag im Konzentrationslager ist kaum in Worte zu fassen. Ich kann nicht verstehen, warum so viel grenzenloses Leid geschehen kann? Wie sind Menschen fähig, anderen das anzutun?

 

Charlotte kam in das Konzentrationslager, weil sie einer hochschwangeren Frau mit etwas Nahrung und Kleidung helfen wollte. Wahrscheinlich unterlag diese Frau auch Hitlers Rassenwahn oder war politischer Gegner des Systems oder Charlotte wurde einfach denunziert. Sie wollte nur Mitmenschlichkeit wahren.

Charlotte erzählte, dass die Inhaftierung in Dresden vor Ravensbrück den Umständen noch entsprechend gut war. Freiheit war das Einzige, was fehlte. Doch anschließend im Konzentrationslager war es einfach grauenvoll.

 

Die Erinnerungen an Hunger, Kälte, Krankheit und der ständigen Angst vor Folter und Mord begleiten Ilse und Charlotte ihr ganzes Leben lang.

 

Charlotte war eine von Tausende, die aus dem Konzentrationslager entlassen wurde, denn die meisten überlebten diese schlimme Zeit nicht. Wahrscheinlich hatte sie so viel Glück, weil Ihr Mann bei der Wehrmacht war. Als sie nach der Entlassung völlig entkräftet, äußerlich und innerlich geschunden, nach nur 9 Monaten zu Hause angekommen ist, erkannte sie im ersten Moment nicht einmal mehr Ihre Mutter.

 

Im Gespräch mit Charlotte und Ilse konnte ich viel aus der Zeit in Ravensbrück erfahren.

Dass es heute Menschen gibt, die glauben, die Geschichte hätte so nicht stattgefunden und die die Nazigesinnung fortführen, macht mich wütend und traurig.

 

Beiden Frauen wurde das Bundesverdienstkreuz verliehen. Sie gehen in Schulen und sprechen mit Jugendlichen über eine Zeit, die sich niemals mehr wiederholen darf.

 

Ich bin dankbar für die Erlebnisse an diesem sehr emotionalen Tag.